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Nachhaltige Entwicklung als kulturelle Aufgabe

Das Projekt “creACTiv für Klimagerechtigkeit” der KinderKulturKarawane wurde zweimal als vorbildliches Netzwerk für BNE (2016-18) im Rahmen des Weltaktionsprogramms der UNESCO ausgezeichnet, erhielt 2017 den 5. Ökumenischen Förderpreis Eine Welt in der Kategorie »Klimagerecht – Menschenrecht« und wurde für den Deutschen Lokalen Nachhaltigkeitspreis 2017 nominiert.
Jetzt ist in der Ausgabe Nr. 126 des infodienst – Das Magazin für kulturelle Bildung über unseren Ansatz und unsere Arbeit erschienen:

creACTiv für Klimagerechtigkeit

Unter dem Motto »Eine Bühne für die Jugend der Welt« verfolgt die KinderKulturKarawane seit fast 20 Jahren erfolgreich einen peer-to-peer-Ansatz in der (inter)kulturellen Bildung: junge Künstlerinnen und Künstler aus Afrika, Asien und Lateinamerika arbeiten mit Gleichaltrigen in Deutschland und anderen europäischen Ländern kreativ zusammen. In Schulen, Jugendzentren und anderswo führen sie in Eigenregie Theater-, Tanz-, Zirkus- und Akrobatik-Workshops zu Themen durch, die sie und die jungen Teilnehmer selbst bestimmen. Ende 2017 ging das zweijährige Pilotprojekt »creACTiv für Klimagerechtigkeit« zu Ende. Dabei wurde das gemeinsame künstlerische Arbeiten von hiesigen Schülern mit Gruppen der KinderKulturKarawane  unter das Thema »Klimagerechtigkeit« gestellt. Insgesamt nahmen 14 Klassen der Jahrgangsstufen 6 bis 10 mit rund 400 Schülern von acht Schulen aus der Metropolregion Hamburg teil.

Junge Künstler aus dem Globalen Süden

Sie kommen aus prekären sozialen Verhältnissen. Etliche sind Waisen oder Halbwaisen, andere waren Straßenkinder oder sind in Kontakt gekommen mit Armut, Gewalt, Krieg, Drogen, Prostitution und Flucht, bevor sie in kulturellen und sozialen Projekten ein neues Zuhause fanden. Dort erhalten sie nicht nur eine (Aus-)Bildung, sondern erfahren über die Förderung ihrer kreativen Talente auch eine Stärkung ihres Selbstbewusstseins und können (berufliche) Perspektiven entwickeln. Ihre Alltagserfahrungen verarbeiten sie in ihren Bühnenshows und bringen sie in die Begegnung und Workshops mit den hiesigen Jugendlichen ein.

So waren es auch Partnergruppen aus dem Globalen Süden, die vor einigen Jahren die Themen Klimawandel und globale Gerechtigkeit auf die künstlerische Agenda setzten. In ihren Heimatländern – Tansania, Indien, Bolivien und Uganda – waren die Auswirkungen des Klimawandels für die Jugendlichen bereits Realität geworden: schmelzende Gletscher und gerodete Regenwälder, ungewöhnlich heftige Überschwemmungen, die auch unter ihren Freunden Todesopfer forderten, lang anhaltende Dürren mit Wasser- und Nahrungsmittelknappheit und andere Extremwetterereignisse waren und sind Teil ihres Alltags.

Interkulturelle Bildung für nachhaltige Entwicklung

Die Frage war: (Wie) Können komplexe, sperrige Themen wie Klimawandel und Gerechtigkeit mit jungen Menschen kreativ bearbeitet werden, ohne dass die Ziele und Methoden sowohl politischer als auch kultureller Bildung ihre jeweilige Autonomie, ihre Eigen-Arten verlieren? Kurz: Wie geht kulturelle und interkulturelle Bildung für nachhaltige Entwicklung? Einfach ist es nicht! Alle Beteiligten brauchen viel Zeit, Geduld und Vertrauen.

»Stop talking – start planting!«, ruft die Siebtklässlerin in die vollbesetzte Schulaula. Lauter Applaus antwortet ihr. Erstaunliches war geschehen: Die eher schüchterne dreizehnjährige Schülerin der Hamburger Stadtteilschule hätte sich vier Tage vorher nie vorstellen können, auf einer Bühne zu stehen und eine gemeinsam mit Mitschülern und der jungen indischen Theatergruppe »The Dreamcatchers« entwickelte Szene über Waldzerstörung und Klimawandel zu präsentieren – noch dazu in Englisch! »Ich habe viel über Tanzen und Klimawandel gelernt und auch, mit meinem ganzen Körper zu kommunizieren«, erklärt sie stolz.

Andere Schüler ergänzen zum Gelernten: »mit dem zufrieden zu sein, was man hat«; »dass die Hautfarbe keine Rolle spielt, sondern wie man sich verhält«; »wir sind alle Menschen und keiner ist irgendwie besser«; »ich kann die Situation in Indien jetzt besser nachvollziehen und mich in eine andere Lage versetzen« »durch Erzählungen unserer Gastschülerinnen habe ich gemerkt, wie viel Glück ich habe, so leben zu können, wie ich lebe.«

Diese Aussagen zeigen, dass das Projekt kreative Fähigkeiten gestärkt, Wissen vermittelt sowie persönlichkeits- und kompetenzbildend gewirkt hat. Besonders Jugendliche, die sich schulischen Strukturen und Unterricht eher verweigern, fanden im kreativen Miteinander mit den ausländischem Gästen einen neuen Platz, entdeckten unbekannte Talente und überraschten sich und andere durch ungeahnten Eifer und Disziplin. Neben diesem Empowerment durch kreatives Arbeiten wirkte die Fokussierung auf das politische Thema »Klimagerechtigkeit« zusätzlich handlungsmotivierend.

Lernen durch Gleichaltrige

Zentral für das Konzept des creACTiv-Projekts ist der Ansatz des peer-to-peerLernens: »Uns hat besonders beeindruckt, dass die Probenarbeit fast ausschließlich von den ugandischen Jugendlichen übernommen wurde, die Erwachsenen hielten sich im Hintergrund. Dadurch kam es zu intensiven Begegnungen unter den Jugendlichen und der ›Energiefunke‹ sprang über. Der peer-to-peer-Ansatz des Projekts ist absolut genial und funktioniert hundertprozentig!« so eine begeisterte Lehrerin über die Begegnung ihrer Klasse mit der Sosolya Ungudu Dance Academy aus Kampala (Uganda). Ihre Jugendlichen bestätigen: »Mit Sosolya hatten wir viel Spaß, die Tänze waren super – besonders, als wir selber daran gearbeitet haben. Die ugandischen Jugendlichen haben mich motiviert, etwas gegen den Klimawandel zu tun, sie sind meine Brüder und Schwestern.«

Projektphasen

Das Projekt gliedert sich in drei Phasen: Die Hamburger Schulklassen und ihre Südpartner befassen sich zunächst jeder für sich mit Klimawandel und Gerechtigkeit. Die Hamburger Schulen werden dabei mit Lehrerfortbildungen, Lernmaterialien, Beratung bei Projekttagen und der Vermittlung von außerschulischen Lernorten und Referenten unterstützt. Die Partnergruppen sammeln Informationen zum Klimawandel und verarbeiten sie in ihren Shows.

In der zweiten Phase kommt ein Vertreter der Partnergruppe für jeweils drei bis vier Tage an die teilnehmende Schule. Er stellt sein Land und die künstlerische Arbeit der Gruppe vor, diskutiert mit den Schülern über Klimagerechtigkeit und globale Verantwortung, entwickelt Ideen für die gemeinsame künstlerische Arbeit und führt Trainings in Theater, Akrobatik oder Tanz durch.

Höhepunkt ist die einwöchige Begegnung und gemeinsame kreative Arbeit in der dritten Projektphase: Hier diskutieren die Hamburger Schüler mit ihren Gästen über inhaltliche Fragen, suchen nach Lösungen, wie sie sich gemeinsam für mehr Klimagerechtigkeit engagieren können, üben Tanz, Theater und Akrobatik und verbringen viel Freizeit miteinander. Am Ende steht eine gemeinsam erarbeitete öffentliche Bühnenpräsentation.

Fazit

Eine nachhaltige Entwicklung erscheint uns im Kern als eine kulturelle Aufgabe. Methoden kultureller Bildung können Katalysatoren sein für die Entstehung unbefangener Sichtweisen: Sie ermutigen junge Menschen, ihre eigene und die gesellschaftliche Zukunft neu zu denken und zu entwerfen. Im Zusammenspiel von Wissensaneignung und Kreativität werden innere und äußere Freiräume ausgelotet, Perspektivwechsel geübt und Haltungen ausprobiert. Eine (inter)kulturelle Bildung für nachhaltige Entwicklung erfordert dabei eine prozessorientierte Herangehensweise und die Bereitschaft der Erwachsenen, sowohl die »ziellosen« kreativen Suchprozesse der Jugendlichen zuzulassen als auch ihre politischen Sichtweisen als Ergebnisse zu akzeptieren.

Die Frage, ob und wie Jugendliche dabei Gestaltungskompetenz im globalen Wandel erwerben und vom Wissen zum Handeln kommen, ist mit dem Projekt nicht gelöst, deutet sich aber an: emotionales Berührt-sein, mit Freude lernen, neugierig werden, der direkte Kontakt zu Betroffenen, Lernen von und mit Gleichaltrigen, Selbstwirksamkeit erfahren, mit dem ganzen Körper lernen – das sind einige Hinweise.

Der Projektträger, das Büro für Kultur- und Medienprojekte gGmbH, »exportiert« das Konzept derzeit in andere Städte. Für Hamburg ist die Weiterfinanzierung vorerst gesichert.

Dr. Friderike Seithel