Mututo Chaud

Kunst als Perspektive für Straßenkinder in Lubumbashi
Sommer 2003. In der kongolesischen Stadt Lubumbashi wird der Öffentlichkeit eine zweieinhalbstündige Performance aus Gesang, Musik, Tanz und Theater präsentiert. Initiator ist Mutoto e.V., ein gemeinnütziger Verein aus Münster. Das Wort „Mutoto“ ist Suaheli und bedeutet „Kind“.

Mutoto e.V. unterstützt seit Jahren soziale Projekte für Kinder in Lubumbashi. Dieses Mal sind im Auftrag des Vereins sechs Münsteraner Künstler nach Lubumbashi gereist. Zusammen mit Künstlern und Pädagogen vor Ort haben sie ein Theaterprojekt mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Das Besondere an diesem Projekt: viele der Kinder, die teilnahmen, haben früher auf der Straße gelebt.
Das umgangssprachliche Wort für Straßenkinder ist im Kongo „Vakkabo“, angelehnt an das französische „vagabond“. Die Situation von Straßenkindern ist in der Demokratischen Republik Kongo ein akutes Problem. Das Theaterprojekt hat den mitwirkenden Kindern Gelegenheit gegeben, ihre eigenen Erfahrungen und Erlebnisse als Straßenkinder darzustellen.

Die Idee zu dem Projekt entstand auf einer Reise, die Richard Nawezi, Vorsitzender von Mutoto e.V., vor einigen Jahren in den Kongo unternahm. Richard Nawezi, der selbst gebürtig aus Lubumbashi stammt und in Münster als Theaterregisseur arbeitet, lernte auf dieser Reise den kongolesischen Künstler Kasongo kennen. „Wir haben zusammen Musik gemacht. Und dabei gab es immer Kinder, die mitgemacht haben. Und da habe ich mir gesagt, das wäre auch eine Perspektive für andere Kinder, die auf der Straße sind: Sich durch Theater auszudrücken.“, beschreibt Richard Nawezi den eigentlichen Beginn des Projektes.

Bis dahin hatte sich Mutoto e.V. in Lubumbashi vor allem bei sozialen Projekten engagiert, zum Beispiel bei Schulprojekten zum Thema Solartechnik oder bei Maßnahmen zur medizinischen Versorgung. Der Verein unterstützt auch Einrichtungen für Straßenkinder, wie die Anlaufstelle der Organisation „Human Dignity in the World“, die täglich kostenlose Mahlzeiten austeilt.
Seit ein paar Jahren fördert Mutoto e.V. auch das Kinderheim Bumi, in dem über hundert Kinder leben, darunter Flüchtlingskinder oder Kinder, die von ihren Familien ausgesetzt oder vertrieben worden sind. Viele der Kinder, die in Bumi ein neues Zuhause gefunden haben, sind auf der Straße aufgelesen worden, wie z.B. der 10jährige Cherubin: „Mamma Therese hat mich und meine Schwester hergeholt. Mein Vater war politisch aktiv und wurde umgebracht. Mamma Therese hat uns gefunden und hierher gebracht.“

Die Kinder von Bumi standen im Mittelpunkt des Theaterprojekts. Anders als bei den sozialen Hilfsmaßnahmen von Mutoto hatten sie hier die Möglichkeit, ihre kreativen Fähigkeiten auszuprobieren und ihre Erfahrungen als Straßenkinder auszudrücken. Sie brauchten sich auch nicht länger als Empfänger von Almosen zu empfinden. Richard Nawezi: „Die Kinder sind nicht mehr diese armen Kinder, die man immer auf diesen Fotos sieht. Es sind Kinder mit Leben, Kinder, die was machen wollen.“

Das Projekt startete im Juli 2003. Drei Wochen lang arbeiteten die Künstler aus Münster und Lubumbashi mit den Kindern und Jugendlichen. Der Tag begann mit einer Aufwärmübung, dem afrikanischen Tanz „Brakka“. Unter Anleitung einer Erzieherin hatten die Kinder in den Monaten vorher schon Ideen für ein Theaterstück entwickelt. An diesem Stück probten sie jetzt unter der Regie der Künstler aus Münster weiter.

Das Stück handelt von einem Kinderschicksal, das in Städten wie Lubumbashi immer häufiger anzutreffen ist. Eine Familie leidet unter großen Geldproblemen, die Spannungen wachsen immer mehr, besonders als der Vater arbeitslos wird. Die Eltern bezichtigen die Kinder der Hexerei und geben ihnen die Schuld an allen Problemen. Schließlich werden die Kinder davongejagt und landen auf der Straße.
„Durch die öffentliche Präsentation des Stücks blieben die Kinder, die von diesem Schicksal betroffen sind, nicht mehr länger anonym“, so Barbara Kemmler vom Jugend-Theater Cactus aus Münster, „sondern die Kinder, die als Plage auch zum Teil bezeichnet werden, bekamen ein Gesicht, und haben damit vielleicht auch anderen Straßenkindern geholfen, die plötzlich auch mal, einen Moment wenigstens, anders angeguckt werden: Als ein Kind mit Geschichte, mit einem Hintergrund: Das Kind, das rausgeschmissen wird aus der Familie, obwohl es kaum oder nur schwer alleine überleben kann.“

Zu dem Theaterprojekt gehören auch andere musische Formen. Parallel zu den Theaterproben führten andere Künstler mit den Kindern aus Bumi eine Musikwerkstatt durch. Die Künstler aus Münster hatten Flöten mitgebracht und brachten den Kindern das Flötenspiel bei. Für viele der Kinder waren es die ersten Erfahrungen mit dem Instrument. Während des täglichen Unterrichts wurden ihnen auch grundlegende Noten-Kenntnisse vermittelt. Die Fortschritte, die manche der Kinder in kurzer Zeit machten, waren bemerkenswert: „Das kam letztendlich daher, dass die derart begierig waren, zu lernen, dass die sich mit ihrer ganzen Leidenschaft da rein geschmissen haben, und nicht mehr aufhören wollten.“
Einige der Kinder aus dem Flötenprojekt, von allen die „Vögelchen“ genannt, wurden eingesetzt, um auf theatralische Weise einen akustischen Übergang zwischen den auftretenden Gruppen zu schaffen. Andere Kinder lernten, mit der Flöte ein Gesangsstück zu begleiten. In einer Gruppe, die traditionelle kongolesische Lieder einstudierte, wurden auch die Kleinsten aus Bumi einbezogen. Insgesamt wirkten 90 Kinder an dem Projekt mit.

Mutoto e.V. konnte auch Künstler aus Lubumbashi für das Projekt gewinnen, darunter Kasongo und seine Akrobatikgruppe „Balet Bana Mampala“. Die Artisten sind in Lubumbashi sehr bekannt. Ihre Kunstfertigkeit wirkt manchmal gerade zu schwindelerregend. Manche Leute munkeln sogar, bei ihren artistischen Nummern sei Magie mit im Spiel. Das „Balet Bana Mampala“ steuerte nicht nur akrobatische Nummern bei. Auf Wunsch von Mutoto e.V. hatte die Artistengruppe für das Projekt ein eigenes Stück zum Thema Straßenkinder entwickelt. Es ist die Geschichte des Jungen Izobada und seiner Freunde und wie sie auf den Straßen der Städte zu überleben versuchen.

Zu den kongolesischen Künstlern, die das Theaterprojekt unterstützten, gehörte auch die A-Capella Gruppe „Best Musica“. Die vier blinden Sänger der Gruppe sind in einem Blindenheim aufgewachsen, das Mutoto e.V. seit einigen Jahren fördert.
Die Premiere des Projektes fand im Theatersaal der Eisenbahnverwaltung von Lubumbashi statt. Ursprünglich hatte Mutoto e.V. nur eine Aufführung geplant. Doch es kam ganz anders.

Der Premiere folgte zwei Tage später ein Auftritt unter freiem Himmel in Katuba, einem der ärmsten Viertel von Lubumbashi. Hier erreichte das Projekt vor allem viele Straßenkinder. Am gleichen Abend trat die Mutoto-Show, wie sie inzwischen überall hieß, im Luxus-Hotel Karavia auf. Im starken Kontrast zum Armenviertel Katuba präsentierten sich die Kinder hier den reicheren Schichten der Stadt.

„Durch das Projekt hat Mutoto e.V. eine Menge erreicht“, so Barbara Kemmler, „z.B. dass die Kinder mit ihren Themen im Mittelpunkt standen. Das heißt, dass das, was sie bewegt, was ihnen das Leben schwer macht, war Thema in der Stadt. Nicht nur durch die drei Aufführungen an den unterschiedlichen Orten, sondern auch durch Presse, Fernsehen, Radio, u.s.w., es haben viele Zuschauer zugeguckt. Das nächste, was wir erreicht haben, ist dass die Kinder gemerkt haben , wie wichtig und wertvoll sie sein können. Also, sie haben ein Gefühl für ihre Würde bekommen und haben das auch zurückgegeben. Viele Kinder haben verborgene Talente entdeckt, also es gab wirklich ausgesprochen musische Talente in der Gruppe, sowohl schauspielerisch als auch musikalisch, und vielleicht eine Perspektive, eine Berufsperspektive.“

Kunst kann den Straßenkindern in Lubumbashi auf vielfältige Weise Perspektiven eröffnen. Deswegen will Mutoto e.V. die theaterpädagogische Arbeit dort weiterführen. Zur Zeit plant der Verein, mit Hilfe von Spendenmitteln ein eigens Kinderzentrum mit kulturellem Schwerpunkt in Lubumbashi aufzubauen. Die ersten Schritte sind schon getan.

Weitere Informationen

Website des Projekts

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