Sie leben auf der Straße, in der Kanalisation oder auf dem heruntergekommenen Nordbahnhof: Die Straßenkinder von Bukarest. Heute sind es um die 2500. Sie sind wie Aussätzige vom Staat vergessen. Nur die Kanalisation bietet ihnen den notwendigen Schutz, um im harten rumänischen Winter zu überleben. Schaben und Ratten müssen sie in Kauf nehmen, um wenigstens im Trockenen und Warmen zu sein. Gekocht wird auf dem Boden, Wasser zum Waschen gibt es nicht. Sie sind aus Heimen geflüchtet oder aus Familien, in denen sie geschlagen wurden, oder in denen das Geld fehlte. Die Öffentlichkeit wurde 1989 auf die Straßenkinder aufmerksam. Die Kinder von damals sind erwachsen geworden. Im Bukarester Nordbahnhof ist bereits die zweite Generation unterwegs. Hierarchien sind entstanden. Zudem konsumieren mehr als 75% der Kinder Drogen, inhalieren giftige Lösungsmittel.
Am Anfang des „Phänomens“ stand die Geburtenpolitik von Diktator Nicolae Ceausescu, der die Abtreibung in den 70er Jahren strikt verboten hatte. Jede Familie wurde angehalten, 3 bis 5 Kinder zu haben. Ab dem 4. Kind übernahm der Staat die Versorgung, wenn die Eltern es allein nicht schafften. Die Kinder wurden von den Familien getrennt und kamen in Heime, wo auch heute noch rund 100.000 von ihnen mehr oder weniger vegetieren. Ein Teil suchte nach der Revolution die neue Freiheit auf der Straße. Jetzt ist zwar die Geburtenrate stark zurückgegangen, doch die wirtschaftliche und soziale Misere stürzt immer mehr Familien ins Elend.
Als vor 11 Jahren der französische Clown Miloud Oukili mit Fahrrad und roter Nase nach Bukarest auf Tournee kam, wurde er mit diesem Elend konfrontiert. Die Straßenkinder kamen immer wieder zu seinen Vorstellungen. Er lernte ihre Sprache, er unterhielt sich mit ihnen und er versuchte sie von dem Drogenkonsum loszubekommen – und: er brachte ihnen erste Zirkustricks bei.
„Das Leben ist hart und der Zirkus auch. Wenn man erfolgreich Zirkus machen kann, findet man auch Wege die Schwierigkeiten des Lebens zu meistern. Zumindest ist das meine Philosophie. Der Zirkus ist ein Ausweg. Man wird verführt und findet Freunde in dieser Zirkuswelt. Das sind doch noch alles Kinder, und Kinder müssen spielen, Im Zirkus gelingt es, die verlorene Zeit des Spielens wenigstens ein bisschen wieder nachzuholen. “ (Miloud Oukili, Clown)
Während 1989 den Straßenkindern in Rumänien noch Mitleid entgegengebracht wurde, sind es heute Hass und Abscheu. Für viele Kinder ist das Leben in der Zirkusgemeinschaft eine ganz neue Erfahrung.
„Miloud kam eines Abends mit einem Freund und dem Versorgungshaus CARAVAN zu uns auf die Straße und hat uns zu essen gegeben. Wir haben ein Feuer gemacht und Cola getrunken. Miloud hatte einige Zirkusgeräte dabei und wir haben begonnen zu üben – zu jonglieren und Pyramiden zu bauen, Doch mit den Pyramiden, das war sehr sehr schwierig. Das klappte nicht, weil wir alle zu sehr unter Drogen standen. “ (Liliana Voicu)
Heute ist die kleine Zirkustruppe mit dem Namen PARADA immer häufiger auf Tournee. Vor allem in Italien und Frankreich ist sie gern gesehener Gast. Außer einem festen Kern von gestandenen Akrobaten, sind es immer wieder neue Kinder, die Miloud mitnimmt.
„In Bukarest existieren diese Kinder ja offiziell nicht. Sie haben ja keine Ausweispapiere und mit dem Grund der Auslandstournee verschaffen wir sie ihnen. Sie sind so plötzlich keine dreckigen Straßenkinder mehr, sondern Kinder, die Zirkus machen und weil sie ihn gut machen, werden sie sogar ins Ausland eingeladen.“ (Miloud Oukili, Clown)
Miloud Oukili legt Wert auf Maske und Ästhetik bei seinen Aufführungen. Er malt ein Lächeln auf die Gesichter der Kinder, die in ihrem Leben bisher viel zu viel geweint haben.
„Ich will keine wilden Clowns, sondern solche, die sich auf den anderen einlassen, diskutieren können und die gemeinsame Sache weiterbringen. Es darf nicht einfach der Stärkere siegen. Bei unseren Zirkuspyramiden trägt der Stärkste das Elend des Schwächsten. Auf der Straße ist das genau umgekehrt. Da muss der Schwächste den Stärksten tagen.“ (Miloud Oukili, Clown)
Mittlerweile hat PARADA mehr als 300 Straßenkinder wieder integriert. Sieben Wohnungen konnten in Bukarest angemietet werden, in denen einige ein neues Zuhause gefunden haben. Sie gehen wieder zur Schule oder erlernen einen Beruf. Oder sie wurden zu Milouds Akrobatiklehrern und bringen den anderen das Jonglieren bei.
„Ich habe dem Papst eine rote Nase gegeben und ihn gebeten, sie zu segnen. Denn diese Nase ist für uns zwar nur ein Plastikhilfsmittel, aber sie ist auch ein Symbol der Würde und der Hoffnung. (…) Die Nase hat eine goldene Regel: Man muss sich selber respektieren, erst dann kann man den anderen respektieren. Sonst funktioniert nichts. “ (Miloud Oukili, Clown)
Clownpower gegen Gleichgültigkeit. Miloud und seine Artisten sind die Botschafter der Straßenkinder von Bukarest. Ob auf Tournee oder zuhause in Rumänien. Überall machen sie auf ihr Projekt aufmerksam und geben so Kindern eine Lobby, die sie bisher nicht hatten.
„Ich sage ganz einfach: Wenn es weniger Straßenkinder gäbe und mehr Menschen, die sich ernsthaft um sie kümmerten, würde der Clown sein Fahrrad und seine rote Nase nehmen und nach Hause fahren.“ (Miloud Oukili, Clown)
Im Dezember 1999 erhielt Miloud für seine Arbeit den UNICEF-Preis. Doch mehr als Preise braucht es heute konkrete Hilfe, damit die Pyramide der Hoffnung für die Kinder von Bukarest nicht wieder zusammenbricht.