Sambalelé

Das Projekt SAMBALELÊ wurde 1998 von Mitgliedern der GRUPO CORPO, einer 1975 gegründeten brasilianischen Tanzcompany ins Leben gerufen. Grupo Corpo gilt national und international als eine der wichtigsten Repräsentantinnen der brasilianischen Kultur. Die Gruppe wurde über die Jahre durch verschiedenste  brasilianische Firmen gesponsert, was in Brasilien für die Firmen bedeutet, dass sie dieses Geld nicht als Steuern abgeben müssen.
Heute wird das Projekt SAMBALELÊ überwiegend von dem brasilianischen Ölkonzern PETROBRAS unterstützt. GRUPO CORPO betreut in dem Projekt Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren aus Familien, die sozio-ökonomisch am Rand der Gesellschaft stehen. Angeboten wird künstlerische Erziehung in Form von klassischem und zeitgenössischem Tanz und Musik, durch Bau von alternativen Musikinstrumenten und Capoeira-Workshops in den Favelas von Belo Horizonte oder deren direkter Nachbarschaft.

Mit dieser Arbeit sollen verschiedene Ziele erreicht werden:

Entwicklung von Selbstachtung
mehr Interesse an der Schulausbildung
Anregung zur Kreativität
Reduzierung von Schulabbruch
Entwicklung von Neugier und Interesse an zusätzlichen Kenntnissen
Reduzierung von aggressivem Verhalten
Stärkung der innerfamiliären Beziehungen
Entwicklung von künstlerischen Fähigkeiten

Einmal im Jahr – meist im November – gibt es die Jahrespräsentation. Die Kinder und Jugendlichen geben aber oft auch im Laufe des Jahres kleinere Aufführungen in Schulen oder bei sozialen Events, um das Erlernte öffentlich zu zeigen. Die Eltern der Kids werden immer wieder eingeladen an Workshops oder Präsentationen teilzunehmen. Sie sollen dadurch stärker in die Entwicklung ihrer Kinder einbezogen werden und ein größeres Bewusstsein dafür bekommen, wie wichtig die künstlerische Arbeit für ihre Kinder ist.

Das Projekt SAMBALELÊ wird seit 2000 von CORPO CIDADÂO geleitet, einer NGO, die von Grupo Corpo gegründet wurde, um den zunehmenden Anforderung an des Projekt gerecht werden zu können. Das Projekt wird geleitet von hochmotivierten Freiwilligen von GRUPO CORPO in Zusammenarbeit mit der Grupo Fraternidade Irmã Scheila (seit 1998), der  Associação Querubins (seit 2000) und dem Centro de Integração Martinho of the Instituição Beneficente Martim Lutero (seit 2000).
Zusammen mit diesen drei Partnern erreicht Corpo Cidadâo über 420 Kinder und Jugendliche in drei Favelas in Belo Horizonte. Den Kids der sehr armen Familien wird in dem Projekt die gleiche künstlerische Erziehung zu Teil wie in den privaten (und teuren!) Tanz-Schulen.

Die Zusammenarbeit zwischen Corpo Cidadâo und dem CIM begann im Jahr 2000, um den Kindern und Jugendlichen in der Favela da Serra Zugang zu Kultur und künstlerischer Erziehung zu gewähren. Die Familien in der Favela da Serra sind nicht nur von Armut sehr stark betroffen, sondern auch von der Gewalt, die von den Drogenkartellen in die Favela hineingetragen wird. Die Favela da Serra gilt als die gewalttätigste in Belo Horizonte. Mehr als 150 Kinder werden durch das Projekt SAMBALELÊ erreicht.

Das CIM in Belo Honrizonte

Die Metropole Belo Horizonte ist mit ca. 3,5 Millionen Einwohnern die viertgrößte Stadt Brasiliens. Vor etwa 100 Jahren nach dem Vorbild Washingtons geplant und gegründet, ist Belo Horizonte Hauptstadt des Bundesstaates Minas Gerais, der bereits zu Kolonialzeiten durch seinen Reichtum an Gold, Diamanten und Edelsteinen von großer Bedeutung war.
Die Einwohner setzen sich zusammen aus den Nachkommen der portugiesischen Kolonialherren, der afrikanischen Sklaven, der indigenen Bevölkerung und der Einwanderer aus Europa, die sich über die Jahrhunderte stark vermischten.
Die Landessprache ist Portugiesisch.

Villen, hochmoderne Bürokomplexe und Wohntürme mit Luxusappartements prägen das Bild im Zentrum der Stadt. An den großen Straßen liegen Banken, teure Geschäfte, Restaurants, Theater und Nachtclubs. Schulen, Fachhochschulen und Universitäten, Privatpraxen und Kliniken stehen vor allem der wohlhabenden Bevölkerung zur Verfügung.
Belo Horizonte ist das Zentrum der brasilianischen Stahlindustrie, die vor allem in den sechziger Jahren starken Aufschwung nahm, wozu große Eisenerzvorkommen in naher Umgebung beitrugen.

Als Industriestandort und Dienstleistungszentrum ist Belo Horizonte Anziehungspunkt für unzählige Arbeitsuchende aus dem Inneren von Minas Gerais sowie aus den Nordoststaaten Brasiliens. Die meisten dieser Zuwanderer sind ehemalige Landarbeiter oder Kleinbauern, die aufgrund einer zunehmenden Technisierung der Landwirtschaft arbeitslos geworden, durch Dürre oder durch ungerechte Besitzverhältnisse von ihrem Land vertrieben worden sind.
Ihre Hoffnung, in der Großstadt eine feste Arbeit und ein gutes Einkommen zu finden, hat sich meist nicht erfüllt. Sie leben in den Elendsvierteln am Rande der Stadt, den Favelas. Hier reihen sich die unverputzten kleinen Steinhäuser an armselige Hütten aus Brettern, Blech und Plastikresten. Es gibt oft Schwierigkeiten mit der Trinkwasserversorgung, der Abwasser- und der Müllentsorgung. Ungeziefer und Parasiten sind Ursache vieler Krankheiten. Zunehmende Gewalt, Hunger und Unterernährung bedrohen vor allem das Leben der Kinder.

Der Arbeitsmarkt
Arbeit zu finden ist schwer. Ohne Schul- und Berufsausbildung können die Männer nur als Hilfsarbeiter im Bauhandwerk oder in den Fabriken, als Gelegenheitsarbeiter, Straßenverkäufer, Tagelöhner oder Lumpensammler Arbeit finden, für nur geringen Lohn und ohne soziale Sicherheit. Viele Menschen sind arbeitslos und haben keinerlei Einkommen.
Frauen und junge Mädchen versuchen als Hausangestellte, Putzfrauen, Restauranthilfen u.ä., Geld zu verdienen. Oft sehen sie in ihrem Kampf ums Überleben nur in der Prostitution einen Ausweg. Auch Kinder und Jugendliche müssen arbeiten, um zum Familieneinkommen beizutragen. Sie haben keine Zeit für eine fröhliche, unbeschwerte Kindheit, für eine Schul- und Berufsausbildung. Vielen bleibt nur ein Leben auf der Straße, bei dem sie mit Kriminalität, Drogen und Prostitution in Berührung kommen.

Östlich des Zentrums von Belo Horizonte im Stadtviertel Aglomorado da Serra liegt an den Berghängen ein Konglomerat von Elendsvierteln, wo ca. 45.000 Menschen unter besonders prekären Bedingungen leben. Sie haben nicht ausreichend zu essen, keine ärztliche Versorgung, und Perspektiven zur Besserung ihrer Lebenssituation sind nicht vorhanden.
Für die Kinder und Jugendlichen gibt es kaum Fördermöglichkeiten. Viele haben Erfahrungen mit körperlicher und seelischer Gewalt gemacht, haben Schläge, Hunger und Einsamkeit ertragen müssen.

Der Träger
Sie zu fördern und zu unterstützen und ihnen ihre Rechte und Pflichten als Bürger nahe zu bringen, ist das Ziel der Mitarbeiter des „Centro de Integração Martinho CIM“. Träger ist der als gemeinnützig anerkannte Verein „Instituição Beneficente Martim Lutero“, der der evangelisch-lutherischen Gemeinde von Belo Horizonte angeschlossen ist und der in weiteren Einrichtungen Kinder im Kindergartenalter und Senioren fördert.

Die Einrichtung
Das Zentrum liegt im Armutsviertel „Vila Nossa Senhora da Fátima“. Das Gebäude wurde vom Einwohnerverein zur Verfügung gestellt. Es ist bienenwabenartig verschachtelt und unterscheidet sich kaum von den umliegenden Häusern. Die Einrichtung der Gruppen- und Aufenthaltsräume ist einfach. Ein Holzfußboden und die von den Kindern und Jugendlichen selbst bemalten und gestalteten Wände schaffen eine angenehme und kindgerechte Atmosphäre. Es gibt einen „Spielraum“ und eine Bibliothek.
Jeweils 200 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 7 und 14 Jahren kommen täglich ins Zentrum. Während einer Tageshälfte besuchen sie die Schule, so dass am Vor- wie am Nachmittag je 100 Kinder in der Einrichtung sind. Sie nehmen hier ihre Mahlzeiten ein und erledigen unter Anleitung ihre Hausaufgaben. Die Erzieher stehen in Kontakt zu den Lehrern der Kinder.

Besonderes Gewicht legen die Erzieher auf die begleitenden Aktivitäten. Ganz bewusst wird Capoeira – ein Verteidigungs-Tanz, den die Sklaven aus Afrika zu Kolonialzeiten mit nach Brasilien brachten – in der Arbeit eingesetzt. Die Kinder und Jugendlichen, die Schläge, Hunger, Misshandlung und Entbehrung am eigenen Körper erfahren haben, lernen, dass sie sich „in ihrer Haut“ auch wohl fühlen können, dass der eigenen Körper etwas Schönes ist, dass man Kraft einsetzen kann, ohne Schaden zu nehmen und dass man den Körper des anderen respektiert.
Zur Förderung der psychomotorischen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und zur Stärkung ihres Selbstbewusstseins werden Musik und Rhythmus als therapeutisches Element in der Arbeit verwendet. Die Kinder basteln aus wiederverwertbarem Material, aus Pappröhren oder mit Draht bespannten Holzbrettern einfache Musikinstrumente. Sie entwickeln dabei Fantasie und Kreativität und erfahren, dass sie selbst etwas schaffen können.

In Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Psychologie der Hochschule von Belo Horizonte werden die Kinder und Jugendlichen psychologisch betreut und begleitet. In diese Arbeit sind auch die Eltern mit einbezogen. Vor allem die Frauen lernen, in der Gruppe ihre Gefühle zu artikulieren. Die Gruppe bietet ihnen Halt und Orientierung bei Problemen, für die man gemeinsam nach Lösungen sucht.
An Samstagen findet in Zusammenarbeit mit einer brasilianischen Nichtregierungsorganisation Unterricht zum Häuserbauen statt, die in Gemeinschaftsarbeit „mutirão“ errichtet werden sollen.

Die Einrichtung ist in den Gremien und Foren der Kinder- und Jugendpolitik vertreten, steht in Kontakt und Dialog zu den zuständigen Ämtern und zu anderen, im Bereich der Kinder- und Jugendbetreuung arbeitenden Einrichtungen. Sie setzt sich besonders ein, um Fälle von Gewalt gegen Kinder aufzudecken und die entsprechenden Maßnahmen dagegen einzuleiten.

Die Einrichtung erhält Mittel von der Stadtverwaltung von Belo Horizonte, vom Sozialamt, sowie Spenden von Gemeindemitgliedern. Allerdings reichen diese Mittel bei weitem nicht aus, um eine regelmäßige Betreuungsarbeit zu sichern.

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